superpaper issue #87 about 100FOR10

Als konsequente, kaleidoskopische Auseinandersetzung mit der minimalistischen Print-Idee, Künstlern eine 100seitige Bühne zu geben, geht 100for10 in die nächste Runde.

Some Art is nice, others is more Scheiß.

 

Als konsequente, kaleidoskopische Auseinandersetzung mit der minimalistischen Print-Idee, Künstlern eine 100seitige Bühne zu geben, geht 100for10 in die nächste Runde.
Einzig mit der formalästhetischen Vorgabe, in schwarz und weiß zu arbeiten, hat Lars Harmsen, der Kopf hinter der Kreativschmiede Melville Brand Design sowie dem typografischen Magazin-slash-Verlagsprojekt Slanted, erneut ein paar hart arbeitende Freunde um sich zu gescharrt.

 

„Alles gute Leute, eigenwillig, mit einer starken Handschrift, Querdenker, frech, amüsant, positiv provokant“, nennt er sie und hatte bereits letztes Jahr mit den ersten Editionen von publizierenden Könnern rund um Rob Lowe, Mirko Borsche, Lars Rosenbohm und Frank Höhne ein gutes Gespür bewiesen.

 

Die simple, greifbare Idee, mit Liebe zur Kreativität und einem Haufen Spaß an Print per se, auf 100 Seiten als Monografie umzusetzen, ist hier nicht nur ein Faszinosum hinsichtlich der unterschiedlichen Herangehensweisen der individuellen Künstlern, sondern quasi eine Trotzhaltung zu aktuellen Self-Publishing-Trends.

 

Die erste Party schmiss das Team von Melville Brand Design mit Florian Brugger, Johannes König, Michael Schmidt und Yumi Kimoto in der Registratur, gefolgt von einer weiteren kuratierten Buchedition, die in der easy upstream Galerie präsentiert wurde. Heuer schlossen sie sich mit Reflektor M zusammen; Maria Inez Pla- za hatte das RM Basics theme für 2016 als „Human Needs“ formuliert, und bezieht sich darauf in einer Serie von Essays, die parallel zu 100for10 gelauncht wurde.

Da ja der Erfolg mit Büchern, die nicht scheiße sind von Haus aus eher seltener daherkommt, ist es umso erfreulicher, wie brechend voll mit Kunst- und Printliebhabern das Kismet am 8. Dezember 2016 war. Unter Beschallung vom hauseigenen Amedée Till konnte man viele Zehneuroscheine loswerden für Bücher, von denen man sich einzureden versucht, sie an Weihnachten zu verschenken, aber sie dann eh selbst behalten will.


Fasziniert von der populären Idee, verschiedenen Kreativen dieselbe Aufgabe zu stellen und dann die Lösungsansätze abzuwarten, war die Medienkünstlerin und Journalistin Veronika Christine Dräxler, die in „About nature – about life“ ihre Zeit in Bogotá als Inspirationsquelle nutzte, und die vehemente Leidenschaft für Pflanzen ein weiteres Mal attestierte.


Weniger botanisch der Publikumsliebling mit dem Titel „Quit playing games with my fart“:
In this book I will teach you about the beauty of flatulence, schreibt der Illustrator Felix Bork.
YOU ARE FARTASTIC! YES, YOU!

Wenn in dieser Stadt etwas derart Künstlerisches, visuell Wertvolles passiert, kann auf kurz oder lang Jovana Reisenger nicht fehlen: unter dem pornösen Pseudonym Donna Euro („Donna Euro
is poisoned by rich men in need“) publiziert sie Stills aus ihren Videosequenzen, die in Zusammenarbeit mit Nalan381, Maximilian Burggarten, Ludwig Abraham, Clara Bläser und Linda Sakallah entstanden.


„This night perhaps won’t be the night of your life. But really that’s ok.“ betitelte die Grazer Informationsdesignerin Clara Wildberger ihren fotografischen Streifzug durch’s Nachtleben.
Tiefgründiger wiederum wird es bei Lenia Hauser in „Coffee, socks and dark matter“, wenn sie
universelle Fragen illustriert: „How is everything connected or isn’t it? Tell me, dear friends:
what holds the world together in it’s innermost?“

Ähnlich melancholisch beschreibt der Dachauer Fotograf und Kommunikationsdesigner
dicke Kinder, Luftballons und sabotierte Achterbahnen im Freizeitpark, fotografiert aber Küsten, Strände und reduzierte Architektur.
Alisha Murray, freie Grafikerin und Tattookünstlerin aus Michigan, hat es eher weniger mit sauberem, höflichen Minimalismus. „PS: Your mother sucks cock in hell“, lässt sie im gezeichneten „Inner Demons“ verlauten. Im tätowierenden Business ist auch Peter Aurisch zuhause, der mit „Vakantie“ eine exzellente Sammlung von Scribbles und Zeichnungen beisteuert.


Dem aufmerksamen Superpaper-Endverbraucher nicht fremd ist der talentierte Antoine Eckart, dessen „Ses dessins sont tellement rèalistes qu’on dirait des photos…“ seiner Pariser Lässigkeit
mehr als gerecht wird.Nicht minder lässig präsentieren sich der Grafikdesigner Max Löffler
(„Daymare Boogie“) oder der New Yorker Künstler Lucas Benarroch aka MRKA, dessen vielschichte
Gestaltungsansätze mit „Shake“ einen sehr treffenden Titel trägt.


Ein besonderes Kompliment kann man Lars Harmsen und seinem fleißigen Team also für die Vielfalt seiner 27 neuen Features machen. „Es geht um den Kick, zu beweisen, dass Print immer noch cool ist! Und um den Spaß, neue Künstler zu entdecken und von Leuten überrascht zu werden, die wir sehr schätzen.“


Sowohl regional betrachtet hat er in der Vergangenheit viele versierte Münchner, von Milch+Honig, über Markus Burke, Anna McCarthy bis Martin Bengel mit festen Instanzen aus der internationalen Grafik-, Fotografie- und auch Modeszene gepaart. Dass so beispielsweise der französische Designer Louis-Cesar Leroux,
der amerikanische Typograph Edward Fella oder spanische Künstler Alessandro Apia von der Slanted publiziert und im Kismet verkauft werden, fügt sich gut in das organische Manifest hinter 100for10.


Dazu passt auch die jüngste Kollaboration mit Reflektor M, deren Arbeit sich vielfach darüber definiert in der städtischen Kulturszene Verknüpfungen zu erzeugen. Gemessen am wunderbar familiären Ambiente der Release-Veranstaltung kann durchaus der Fakt herausgelesen werden dass kreative Publikationsprojekte dieser Manier gute Leute anzieht und ein perfekter Nährboden für daraus resultierende Ideenfindung sein kann.


WAS: 100for10 Buchedition
WIEVIEL: 10 Euro
WO: 100for10.com
WER: Melville Design x Slanted x Reflektor M

Quelle: superpaper
Text: Sonja Steppan